Blog von Christian Bott

Parieren erlaubt?

‚Liechtenauer hat nie….‘ oder doch?

Manche behaupten, man hätte damals keine Paraden gelernt. – Was ist da dran?

Dieser Irrglaube hält sich hartnäckig durch die fehlerhafte Interpretation der Liechtenauerquellen, frei nach dem Ansatz: Was nicht da steht, hat es nicht gegeben. (Auf diese Problematik geht unser Essay ‚Von der Quelle zur Wahrheit‘ ein.) In diesem speziellen Fall muss man sagen, dass Liechtenauer davor warnt, ausschließlich auf die Hiebe des Gegners zu warten, um sie nur zu parieren. Dies jedoch so auszulegen, dass man nie parieren dürfe ist ein populärwissenschaftlicher Interpretationsfehler, der auf verschiedene Irrtümer in der Quellenarbeit mit den Fechtmanuskripten zurückgeht.
Sehen wir uns die in in diesem Zusammenhang oft zitierten Textstellen einmal näher an. Zugrunde liegen hier stellvertretend die Passagen aus dem ‚Danziger-Fechtbuch‘ von 1452.
Zunächst wird die Erforschung der Fechtquellen dadurch erschwert, dass die früheren Fechtbücher (vor dem 16. Jahrhundert) sich scheinbar an den fortgeschrittenen und eingeweihten Fechter richten. In einem dieser Quellen ist zu lesen:

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Cod. 44.A.8 (‚Danzig‘), 15. Jahrhundert

„Die Schriften wurden von Johannes Liechtenauer verfaßt und erstellt, der ein großer Meister dieser Kunst gewesen ist und dem Gott gnädig sei. Weil die Kunst den Fürsten und Herren, den Rittern und gemeinen Soldaten gehört, und damit diese Kunst von jenen erlernt und beherrscht, zugleich aber nicht von jedermann vernommen und verstanden werden soll, hat er, Liechtenauer, dieselbe mit verborgenen und verschlüsselten Worten aufschreiben lassen. Dies ist wegen der leichtfertigen Fechtmeister geschehen, die ihre Kunst geringschätzen, damit seine, Liechtenauers, Kunst von eben diesen Meistern nicht öffentlich und allgemein zugänglich gemacht werden soll. Diese verborgenen und verschlüsselten Worte der Schriften werden in den folgenden Kommentaren erklärt und erläutert, damit sie jedermann, der bereits fechten kann, gut zu verstehen und begreifen vermag.“

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Als Folge werden nur die Techniken erläutert, welche typisch für die Liechtenauerlehre waren und diese Lehre von denen der anderen Fechtmeister unterschied bzw. abhob. Demnach sind nahezu keine Grundlagen erklärt, wie die (Grund-)Hiebe zu den einzelnen Blößen. Dennoch gab es natürlich solche Hiebe, was eine nähere Betrachtung der Quellen zeigt, da diese in vielen Nebensätzen zumindest erwähnt werden:

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Cod. 44.A.8 (‚Danzig‘), 15. Jahrhundert

„Wenn du im Zufecht zu ihm kommst und er dir von seiner rechten Seite oben zum Kopf schlägt, (…)“

Hans Talhoffer, 15. Jahrhundert

„Vier Blößen wisse, diese hab acht, so schlägst Du gewisse(nhaft)“

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Diese und viele weitere Beispiele zeigen, dass die Inhalte der frühen Fechtbücher äußerst lückenhaft sind, wenn es darum geht, eine komplette Überlieferung und Aufzählung der möglichen und üblichen Fechttechniken zu erhalten. Im bislang ältesten Fechtbuch der Liechtenauertradition wird bereits bei dem Übertragen der Techniken aus Fechtquellen zur Vorsicht geraten:

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Hs.3227a (‚Döbringer‘), 14. Jahrhundert

„Merke dir und wisse, das man nicht wirklich bedeutungsvoll von dem Fechten reden, es schreiben oder auslegen kann, als wie man es mit der Hand zeigen und zu weisen vermag.“

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Doch zurück zu der Frage nach den Paraden: Für die weitere Betrachtung ist zu wissen, dass in der Fechtbüchern dieser Zeit in der Regel vom „Versetzen“ die Rede ist. Prinzipiell beschreibt dieses Wort alle Meidhandlungen mit Hilfe der eigenen Waffe – also auch Paraden. In den Merkversen Liechtenauers heißt es:

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Cod. 44.A.8 (‚Danzig‘), 15. Jahrhundert

„Vor dem Versetzen hüte dich – Geschieht es doch, so müht es dich:…“

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Auch wenn dieser Satz schön klingt, darf man hier nicht stehen bleiben! Die Merkverse Liechtenauers weisen auf Inhalte hin, welche der Schüler lernte, ohne sie jedoch im Einzelnen zu beschreiben. Sie sind lediglich eine Erinnerungshilfe. Also lesen wir weiter in den darauffolgenden Glossen (Erklärungen):

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Cod. 44.A.8 (‚Danzig‘), 15. Jahrhundert

„…Merke dir, dass du nicht versetzen sollst, wie es die gewöhnlichen Fechter tun. Wenn diese versetzen, so halten sie ihren Ort in die Höhe oder auf die Seite. Das führt dazu, dass sie in der Versatzung mit dem Ort keine der vier Blößen bedrohen können. Darum werden sie oft besiegt…“

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Hier wird eine ganz bestimmte Art des Versetzens (Parierens) beschrieben, der Block mit stehendem Ort. Es wird also nicht – wie oft angenommen – das Versetzen von vornherein ausgeschlossen, sondern die speziell beschriebene Art. Weiter heißt es an dieser Stelle im Fechtbuch:

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Cod. 44.A.8 (‚Danzig‘), 15. Jahrhundert

„…Wenn du aber versetzen willst, so tu dies mit einem Hau oder einem Stich und suche (bedrohen/angreifen) indes die nächstgelegene Blöße. So wird dich kein Meister angreifen ohne zu Schaden zu kommen.“

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Das Wort „Indes“ wird hier oft als „gleichzeitig“ fehlübersetzt, was als Folgefehler einen Ausschluss aller Paraden ohne gleichzeitigen Gegentreffer bewirkt. Lässt man den Autor dieses Fechtbuches wie auch andere Zeitgenossen jedoch öfter zu Wort kommen, so fällt schnell auf, dass „Indes“ oft mit „sofort“ oder „sogleich“ übersetzt werden kann. Ein Beispiel ist ein Text aus dem Krumphau:

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Cod. 44.A.8 (‚Danzig‘), 15. Jahrhundert

„Hau krump zu den Flächen der Maister, willst du sie schwächen. Wenn es oben glitzt, so stand ab, das will ich loben. Glosse: (…) Haut er dir dann oben zu der Blöße, so hau stark mit der Langen Schneide mit gekreuzten Armen gegen seinen Hau. Sobald die Schwerter zusammenklirren, so winde indes zu deiner linken Seite die Kurze Scheide an sein Schwert und stich zum Gesicht. Willst du ihn nicht stechen, so hau ihm indes mit der Kurzen Schneide vom Schwert zum Kopf oder zum Körper.“

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Hier ist beim Wort „indes“ eindeutig erkennbar, dass zwei zeitlich getrennte aber direkt aufeinander folgende Aktionen beschrieben werden. Der erste Teil ist ein Schlag zur Klinge(nfläche) des Gegners (während dieser oben zuhaut) mit dem Ziel, den gegnerischen Hieb abzuwehren. Es folgt „indes“ (sofort, ohne Pause) ein Stoß oder Hieb „zum Kopf oder zum Körper“. Hier ist das klassische Parade-Riposte-Prinzip zu finden, wie wir es auch heute aus dem Sportfechten kennen: Musst du parieren, so versuche sofort im Anschluss einen Gegenangriff zu führen. Im optimalen Fall hat man bereits einen parat und die Parade ist lediglich Teil der Taktik – wie beim Krumphau beschrieben.

Zu „vermeiden“ ist, nur zu parieren, ohne eine Idee für die eigene Antwort auf den gegnerischen Angriff zu haben, wie im folgenden Text zu lesen ist:

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Cod. 44.A.8 (‚Danzig‘), 15. Jahrhundert

„Wenn du mit dem Zufechten zu ihm kommst, so sollst du nicht stillstehen und auf seine Hiebe schauen oder warten was er gegen dich ficht. Wisse, dass alle Fechter, die da schauen und auf des anderen Hiebe und warten und nichts anderes tun wollen, als zu versetzen, die brauchen sich der Kunst (=Können) gar wenig freuen. Denn die Kunst wird dadurch nichtig und sie werden dabei geschlagen.“

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In diesem Zuge warnt der Fechtmeister also davor, ohne „Plan“ zu parieren – und ausschließlich auf die Hiebe die Gegners zu „warten“, um sie lediglich abzuwehren.

Demnach bedeuten die entsprechenden Stellen in den Fechtbüchern also keinen Ausschluss aller Paraden im Nach, sondern geben vielmehr die taktische Empfehlung, die Initiative zu behalten oder an sich zu reißen. Ein guter Fechter ist in der Lage, aus der Defensiven wie aus der Offensiven seinen Kampf zu kontrollieren. Die Initiative im Kampf jedoch mit permanentem Angreifen bzw. Agieren im „Vor“ zu verwechseln, war zu keiner Zeit ratsam und hat auch beim Fechten nach Liechtenauer nichts mit Authentizität zu tun.

Doch mit Fehlinterpretation zu diesem Thema scheinen interessanterweise auch schon Fechtmeister vor fünfhundert Jahren konfrontiert worden zu sein. Joachim Meyer schreibt im 16. Jh. in seinem Fechtbuch darüber – und dem wäre nichts hinzuzufügen:

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Joachim Meyer, 16. Jahrhundert (übers. von Alex Kiermeyer)

„Eine nützliche Ermahnung vom Versetzen: Wenn Du aber zu solchem Versetzen mit Gewalt und Übereilen gedrängt würdest, dann versuche doch, dass Du dich mit Abtritten befreien und mit Vorteil wieder zum Vor kommen mögest. Diese Versatzung erwähnt auch Liechtenauer, wenn er spricht: ‚Vor dem Versetzen hüte dich – Geschieht es doch, so müht es dich‘. Mit welchem er das Versetzen nicht völlig verbieten will, so dass du nichts anderes als zu Hauen lernen solltest. Denn genauso, wie es dein Schaden wäre, wenn du dir angewöhnen würdest, nur zu versetzen, so ist es auch zu nichts Nütze, jemanden mit Streichen zu überpoltern, genauso gewissermaßen mit geschlossenen Augen mit seinen Streichen zugleich hinein zu hauen, welches dann kein Fechten, sondern viel mehr einem unbesonnenem Bauern-Gedresche gleicht.“

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Christian Bott, Edingen 2012

Blog von Christian Bott

Umgang mit Quellen

Ein Paar Gedanken zur Quellenarbeit

Haben sich früher Historische Fechter weitestgehend auf Ihre Phantasie stützen müssen, so steht uns heute eine Vielzahl an historischen Quellen zur Verfügung, in denen die damalige Fechtkunst beschrieben wird. Doch bevor man die Quellen in die Hand nimmt muss man wissen, wie man mit diesen Inhalten umgeht!

Wir sind es heute gewohnt, vom Schriftlichen / Virtuellen auf das Reale zu schließen. Warum gelingt uns das? Weil wir dank eines umfassenden Allgemeinwissens und ‚zeitgemäßen Denkens‘ genügend Hintergrundinformationen haben, um das Gelesene in den richtigen Kontext zu setzen. Doch bereits bei uns fremden Disziplinen tun wir uns schwer, die „Quellen“ in ihrer Aussage voll und ganz zu erfassen.

Beispiel: In einem Handbuch für Piloten finden wir viele hilfreiche Angaben, die uns jedoch dem wirklichen Können eines Piloten nur wenig näher bringen. Wir würden es vielleicht schaffen zu starten – aber sicher landen ist doch eher die Sache des Eingeweihten.

Mit den Fechtbüchern im späten Mittelalter ist dies sehr ähnlich. Auch diese richten sich an Eingeweihte und wurden nicht mit der Intention geschrieben, dem „Greenhorn“ die Kunst des Fechtens zu lehren. Dies fasste bereits Ende des 14. Jahrhunderts der Autor eines Fechtbuches wie folgt zusammen:

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Hs.3227a (‚Döbringer‘), 14. Jahrhundert
„Merke dir und wisse, das man nicht wirklich bedeutungsvoll von dem Fechten reden, es schreiben oder auslegen kann, als wie man es mit der Hand zeigen und zu weisen vermag“

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In diesem Satz findet sich eine Warnung: Du kannst nur aus den Büchern kein Fechten lernen. Warum?

pastedGraphic.pdfNun, das Buch ist wie jede Aufzeichnungsform ein komprimiertes Abbild der Realität. Wir kennen das heute vom MP3. Unwichtige Dinge werden weggelassen und so das „Eigentliche“ überliefert.

Was nun weggelassen wird, liegt ganz im Ermessen des Urhebers. In den Quellen der Fechtkunst ist es meist das Triviale, das jeder kann oder können sollte. Außerdem sind es Bewegungen, etc. auf die der Fechter von selbst kommt, wenn er vor dem Studium des Fechtbuches, bei dem Urheber bereits die Kunst des Fechtens erlernte.

An anderer Stelle heißt es in den Fechtbüchern:

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Cod. 44.A.8 (‚Danzig‘), 15. Jahrhundert
„Weil die Kunst den Fürsten und Herren, den Rittern und gemeinen Soldaten gehört, und damit diese Kunst von jenen erlernt und beherrscht, zugleich aber nicht von jedermann vernommen und verstanden werden soll, hat er, Liechtenauer, dieselbe mit verborgenen und verschlüsselten Worten aufschreiben lassen. Dies ist wegen der leichtfertigen Fechtmeister geschehen, die ihre Kunst geringschätzen, damit seine, Liechtenauers, Kunst von eben diesen Meistern nicht öffentlich und allgemein zugänglich gemacht werden soll.

Diese verborgenen und verschlüsselten Worte der Schriften werden in den folgenden Kommentaren erklärt und erläutert, damit sie jedermann, der bereits fechten kann, gut zu verstehen und begreifen vermag.“

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Somit sind uns heute zwar die Besonderheiten der Fechtkunst überliefert, jedoch nur Bruchstückhaft der Unterbau – die Basis.

Jede Fechttechnik in den Quellen besteht also aus zwei Teilen: Dem Überlieferten, und dem Ausgesparten. Das ist wichtig zu wissen und zu akzeptieren, bevor man sich an die Interpretation der Quellen macht.

In der Geschichtsforschung geht man daher nicht prinzipiell von der Quelle zur Rekonstruktion der Realität, sondern erstellt auf Grund vorhandener Kenntnisse eine These. Diese wiederum wird anhand von Quellen bestätigt oder ggf. berichtigt.

Ohne eine eigene These ist jedoch die Erkenntnis fast unbrauchbares Stückwerk:

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Für uns Fechter heißt dies, dass wir die Historischen Techniken in ein bestehendes Bewegungssystem einbetten müssen, um die Lücken in den Quellen durch die Gegebenheiten dieses Systems zu füllen. Über die Jahre werden immer mehr Lücken geschlossen und das System komplettiert. Natürlich stehen klare Erkenntnisse aus den Quellen an erster Stelle; dennoch sind zur erfolgreichen Interpretation zwei weitere Bereiche sehr wichtig:

  1. Die eigene Logik / Intuition: Wenn eine Interpretation beim Training sich falsch anfühlt, dann stimmt mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas mit der Interpretation nicht. Ob man nun ausgebildeter Fechtlehrer, junger Übungsleiter oder Schüler im Anfängerstadium ist, macht hier kaum Unterschied.
  2. Gesetzmäßigkeiten gültiger Kampf(sport)-Systeme: Die eigene Erfahrung an vergleichbaren Kampfkünsten, welche geographisch möglichst nah an der zu interpretierenden Fechtkunst sind, bilden die wichtige Basis, Erkenntnisse aus den Quellen einzuordnen und sich der tatsächlichen Fechttechnik anzunähern.

Das Fechten ist eine lebendige Kampfkunst, wie die meisten anderen Kampfkünste weltweit. Es ausschließlich wortwörtlich aus den Quellen zu rekonstruieren ohne den Mut zu fassen, Lücken mit bestehenden Systemen und der eigenen Logik zu füllen, macht die Fechtkunst zu einer ritualisierten Darstellung.

Auf diese Weise wird ein Tunnelblick trainiert, der zu Aussagen führt wie z.B.:

  • „Was nicht in den Quellen steht, gab es nicht.“
  • „Parieren / Versetzen im „Nach“ gab es nicht, machte man nie.“
  • „Schnelle, dynamische Beinarbeit wie im heutigen Sportfechten hat im Schwertfechten nichts verloren.“
  • „Man parierte immer mit der Fläche.“
  • „Man bewegte sich nie auf der Linie.“
  • „Man schlug immer „ins Hängen. – Wer durchzieht ist tot.“
  • „Wer zurückweicht, wird besiegt.“

Es erginge einem zwangsläufig wie unserem Freund im folgenden Video:

Also, meine Freunde – Begeisterte der Fechtkunst – habt Mut, zu interpretieren und zu hinterfragen!

Und zu guter Letzt ein Rat aus meinem Geschichtsstudium:

Meide die Worte immer und nur,
und vor allem … Sag niemals nie !

Christian Bott, Edingen 2010